Ein Paar im Lockdown (während der Corona-Pandemie 2020-21) versucht, das Eingeschlossensein in der eigenen Wohnung zu meistern
Gerda und ich sind uns in der letzten Zeit mehr und mehr aus dem Weg gegangen. Wenn sie Gerda fragen, sagt sie bestimmt, nur ich sei ihr aus dem Weg gegangen. Aber das stimmt so nicht: Ich hab einfach Platz gemacht.
Hab ja gemerkt, wenn so eine gemütliche Stimmung mit ihr plötzlich aus war, wir beide sonntags mit der Zeitung am Frühstückstisch, und auf einmal ist Gerda nervös geworden. Ist aufgesprungen und hat herum gewerkt. Dabei hätte sie gut noch eine Weile bei mir sitzen bleiben können. Dann bin ich halt auch auf und hab mich mit der Zeitung woanders hingesetzt.
Oder wenn sie anfing, abends das Wohnzimmer umzuräumen, dann wusste ich: Gerda will allein sein. Ihre Gedanken ordnen. Vor einiger Zeit hab ich sie noch gefragt, was denn mit ihr sei. Aber seit sie öfter unwirsch Ach nichts! zurückgegeben hat, belästige ich sie nicht weiter mit meinen Fragen.
Seit heute früh 0.00 Uhr können wir uns aber nicht mehr aus dem Weg gehen. Gerda hat Anweisung, ihre Arbeit nur noch von unserem privaten Telefon und ihrem Laptop aus zu erledigen. Und ich sitze sowieso den ganzen Tag vor meinem Bildschirm. Jetzt eben zuhause, denn auch ich soll nicht ins Büro.
Ohne dass wir uns besprochen hätten, sitzt sie nun in der Küche – und ich im Wohnzimmer. So höre ich jetzt viel öfter nur ihre Stimme, die so anders klingt, wenn sie mit Kunden spricht, rauer nämlich. Insgeheim bin ich froh darüber, dass Gerdas Stimme mir gegenüber ganz anders schwingt. Aber bedeutet das wirklich schon etwas? –
Am nächsten Morgen besteht Gerda darauf, dass wir festlegen, wer wann in welches Zimmer darf. Und wenn ich am Vormittag aber einen Kaffee will, sträube ich mich gegen ihr Verschanzen hinter der Küchentür. Für Kaffee darfst du schon rein. Und ich bei dir zum Blumengießen. – Aber dein Herumlaufen, von Topf zu Topf, macht mich ganz närrisch, halte ich dagegen. – Und Gerda beharrt: Um den Kopf mal kurz frei zu bekommen, ist Blumengießen das Allerbeste! –
Die Atmosphäre im Raum lädt sich auf, und zum ersten Mal fällt mir einfach nicht ein, wie ich dem entkommen kann. Du bist so stur! werfe ich ihr hin. Jetzt bin auch ich lauter geworden. Schaue in Gerdas angespanntes Gesicht, sie hebt langsam die Hände und bewegt sie dabei auf mich zu, als könnte sie mich so von sich wegschieben. Und ich ertappe mich dabei zu denken, dass ich im Zweifelsfall ja einfach ihre Handgelenke greifen kann, sie festhalten, denn ich bin stärker. Und will mich nicht so einfach von ihr wegschieben lassen.
Nun sitze ich vor meinem Bildschirm und fange an nachzudenken: Hat Gerda das versucht, mich wegzuschieben … ? – Jedenfalls darf sie das jetzt nicht mehr. Von Amts wegen muss ich da bleiben.
Ich versuche, mich wieder auf meine Arbeit zu konzentrieren, komme aber nicht recht voran. Lausche auf Gerdas Stimme, obwohl es ja die unangenehme Tonlage sein würde. Warte darauf, dass mich ihr ständiges Reden am Telefon nervt. Aber Gerda hat heute nicht viel zu telefonieren, und ich gehe zu ihr in die Küche und mache mir einen Kaffee. Frage sie, ob sie nicht mal Blumen gießen wolle, die ließen schon die Köpfe hängen. Sie lacht: Mach es doch selbst, da steht die Gießkanne! Und während ich unschlüssig vor der allmählich brodelnden Kaffeemaschine stehe, meint sie, wir sollten doch jeder eine Liste machen, mit Wörtern, die der andere nicht sagen darf. In so einer Situation sei das besonders wichtig. Ich schüttele ungläubig den Kopf: Wozu soll das gut sein? – Wirst schon sehen, Gerda lächelt ihr wissendes Lächeln, das ich sehr mag, weil sie dann so ganz bei sich zu sein scheint. Sie hat mich entwaffnet, ich lächele jetzt auch, als hätte sie einen guten Witz gemacht. Siehst du, sagt Gerda und reicht mir ein leeres Blatt Papier, auf meinem steht ’stur‘, und als ich sie fragend anschaue, fügt sie hinzu: Du hast vorhin ’stur‘ zu mir gesagt. Das macht mich rasend. Das darfst du nicht! – Du wirst mir doch hier zuhause nicht den Mund verbieten, empöre ich mich, und sie gibt aufgeregt zurück: Du verstehst schon wieder nicht, was ich meine! – Schon wieder, schon wieder! Ich rolle mit den Augen, rupfe Gerda den Kugelschreiber aus der Hand und schreibe schon wieder! auf mein Blatt. Murmele grimmig: Da haben wir’s! Das regt mich nämlich tierisch auf. Als ob ich so ein Sturkopf wäre! – Gerda hat wieder ihr Lächeln aufgesetzt, bemerke ich verblüfft, und hält mir ein Schächtelchen mit Reißnägeln hin, während sie ihren Zettel energisch an unsere Pinnwand heftet. Und für einen Augenblick kann ich an nichts anderes denken als sie mit einem dieser Reißnägel zu pieksen. (…)
„Frische Luft“
Kurzgeschichte – Dubplate-Performance von Uwe Bressnik, Konsthallen Lokstallet Strömstad
https://www.instagram.com/p/CwIyR6HoeFj/
August 2023